Die Erfahrungen von Nele Ewert

Portrait Nele Ewert ist zum Interviewzeitpunkt 32 Jahre alt und Mutter von drei Söhnen. Die beiden Älteren, sieben und neun Jahre alt, haben eine ADHS-Diagnose. Neben schulmedizinischen Behandlungen interessiert sie sich auch für „Alternative Medizin“ und hat schon vieles ausprobiert. Frau Ewert hat einer Veröffentlichung ihres Interviews in der Audioversion zugestimmt.

Bei der Familie Ewert herrscht manchmal das totale Chaos, dann geht nichts mehr, „nur noch Geschrei, Gebrüll und Gekloppe“, sagt Nele Ewert. Anfangs habe sie sich oft für ihre Kinder geschämt. Sie hatte Angst, dass andere denken würden, sie könne ihre Kinder nicht erziehen. In der Eisdiele zum Beispiel bestellte sie immer Eis zum Mitnehmen. Ein gemeinsamer Besuch im Cafe? –  Daran war nicht zu denken! Inzwischen hat sie gelernt, selbstbewusster mit dem Thema umzugehen. Sie erlebt immer wieder, dass viele Erwachsene kein Verständnis für ihre Kinder haben und hört Sprüche wie: „AD(H)S gibt es nicht“ oder „Gebt denen keinen Zucker“.

Wer nicht einmal selbst gesehen und erlebt hat wie es ist, wenn ein Kind „seine fünf Minuten“ hat, könne sich nur schwer vorstellen, was das Leben mit AD(H)S bedeutet. Ihr ältester Sohn ist inzwischen neun Jahre alt, sein Bruder zwei Jahre jünger. Der älteste Sohn war immer schon sehr aktiv, auch wenn er insgesamt eher introvertiert wirkt. Er beobachtet erst einmal und wartet lange ab.

Im Kindergarten galt er als unauffällig. Die Probleme kamen erst nach der Einschulung. Hier fiel er durch massive Konzentrationsprobleme auf. Schon nach zwei Wochen suchte die Klassenlehrerin das Gespräch mit den Eltern und empfahl ihnen, dem Kind Medikamente zu geben oder den Wechsel auf eine Förderschule. Seine ersten Schulmonate waren sehr schwierig für ihn, was sich auch in regelmäßigen „Ausbrüchen“ widerspiegelte. Einmal, so erzählt Frau Ewert, hat er 50 Minuten in seinem Zimmer randaliert, sein Hochbett herum geschoben und ein Loch in die Tür geschlagen. Die Hausaufgaben waren der reinste Kampf. Oft vergaß er sogar, was er überhaupt aufhatte. Seinen Mitschülerinnen und Mitschülern gegenüber reagierte er aggressiv; Zuhause war er oft traurig. Aus Angst, in die Schule zu gehen, musste er sich manchmal vor dem Unterricht übergeben.

Es kam noch schlimmer: Frau Ewert gegenüber äußerte ihr Sohn sogar den Gedanken, dass er nicht mehr leben wolle. Aus Sorge ließ seine Mutter ihn nochmals untersuchen. Alles psychisch bedingt, bestätigte ihr der Arzt. Die Familie Ewert beschloss psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen und probierte Medikamente aus, die auch zu einer Besserung führten. Nach den Osterferien wechselte er zusätzlich von der Regel- auf eine Waldorfschule. Frau Ewerts ist sehr zufrieden mit dieser Schulform. Die Lehrkräfte zeigen viel Verständnis für ihre Söhne, geben ihnen die notwendigen Freiräume und bringen ihnen Wertschätzung entgegen. Inzwischen geht er gerne in die Schule.

Bei ihrem mittleren Sohn hatten sie schon einen ersten Verdacht, dass er „anders“ ist, als dieser erst zwei Jahre alt war. Es fiel auf, dass er Grenzen und Gefahren nicht einschätzen konnte. Eine Ergotherapeutin stellte später fest, dass er ein niedriges Schmerzempfinden hat. Als er drei Jahre alt war, sprachen seine Erzieherinnen aus dem Kindergarten die Eltern zum ersten Mal an. Als er vier war, ließen die Eltern ihn auf AD(H)S testen. Auch wenn er sich weigerte, alle Tests mitzumachen, stand die die ADHS-Diagnose relativ schnell fest. Bereits mit fünf, ein Jahr vor der Einschulung begann er Tabletten zu nehmen, damit war er schon vor der Einschulung richtig eingestellt.

Manchmal, sagt die Mutter, beschreibt der Junge seine Situation so: Er fühlt sich, als wären all Gedanken weg, dann flitzt ein Pingpong Ball durch seinen Kopf. Er wird hibbelig und bekommt Wutanfälle. Frau Ewert achtet sehr darauf, dass alle ihre Kinder die Möglichkeiten haben, sich im Alltag auszupowern und Sport zu machen. Sie sind dadurch ausgeglichener, aber bekommen dennoch hin und wieder ihre Ausbrüche und Wutanfälle. Frau Ewert versucht dann, sie festzuhalten, um ihnen Grenzen aufzuzeigen und Halt zu geben.

Frau Ewert hat schon einige Bücher über AD(H)S gelesen und tauscht sich regelmäßig in Internetforen aus. Zusammen mit ihrem Mann hat sie außerdem bei einem Elterntraining mitgemacht. Hier hat sie gelernt, wie sich ihre Kinder bei Attacken fühlen. Da diese langfristig ohne Medikamente auskommen sollen, hat sie schon einiges ausprobiert. Nutzlos waren für sie Bachblüten, Omega-3-Kapseln oder die Reduzierung des Zuckerkonsums. Als hilfreich empfand sie therapeutisches Reiten und den Kontakt zu Haustieren.

Das Interview wurde 18.11.2014 geführt.

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