Ambulante Psychotherapie

Viele unserer Erzählerinnen nahmen über viele Jahre hinweg ambulante Psychotherapie in Anspruch. Häufig berichten sie, dass der „Einstieg“ nicht von ihnen selbst ausging, sondern von anderen angeregt wurde. Manche schildern, wie ihre Eltern aktiv wurden und wollten, dass sie in Therapie gehen. Andere erzählen, dass der Druck von einer Lehrerin oder vom Hausarzt ausging, und dass sie eher wenig Unterstützung von ihren Eltern hatten.

Carina Wintergarten suchte sich zwischen den Klinikaufenthalten immer ambulante Psychotherapie.

Oft erzählen die Betroffenen, dass es ihnen anfangs schwerfiel, sich auf die Therapie einzulassen. Sie schildern im Rückblick, wie sie erst später erkannten, dass die Psychotherapie ihnen helfen kann oder wie sie diese für sich nutzen können. Manche beschreiben, dass sie lange suchten, bis sie eine passende Therapeutin oder einen passenden Therapeuten fanden, zu der oder dem sie Vertrauen fassen konnten; dann konnte sich auf einmal etwas bewegen, was vorher noch nicht möglich war. Manchmal sagen sie im Rückblick auch, dass sie anfangs noch gar nichts verändern wollten und auch dadurch die Therapie nichts bringen konnte. Manche schildern, dass sie die Therapie immer noch anstrengend finden und damit kämpfen; dass es auch Zeiten gibt, wo sie sich gar nicht gut anfühlt. Sie beschreiben, wie schwer es ist „den Schalter umzulegen“ und das Erlernte umzusetzen, selbst wenn sie schon viel verstanden haben.

Viele unserer Erzählerinnen sagen aber auch, dass es sich für sie gelohnt hat, das „Projekt“ Psychotherapie in Angriff zu nehmen. Lena Huber sagt sogar, dass sie es im Nachhinein als positive Seite ihrer Essstörung einschätzt, dass sie sich durch die intensive Therapie viel besser kennenlernen konnte. Auch andere unserer Gesprächspartnerinnen berichten, dass die Psychotherapie ihnen half, sich selbst und ihre Erkrankung besser zu verstehen. Sie beschreiben, dass sie dadurch Zusammenhänge mit ihrer Lebensgeschichte erkennen konnten und die Therapie ihnen half, sich nicht mehr so sehr selbst zu verurteilen und zu schämen, sondern Verständnis für ihre Gefühle und ihre Denkmuster zu bekommen. Entsprechend berichten auch viele, dass es in der Therapie gar nicht so sehr um das Essen ging, sondern um die „dahinter“ liegenden Dinge.

Mehrere Erzählerinnen berichten, dass sie aus der Therapie ganz konkrete Dinge für ihren Alltag mitgenommen haben. Selbst wenn die Erkrankung noch nicht ganz überwunden ist, helfen ihnen die erlernten Strategien, ihren Alltag besser zu bewältigen. Bei manchen waren es bestimmte Aufgaben, die für eine Zeit lang hilfreich waren, wie eine gezielte Tagesplanung, Freizeitgestaltung oder Sport; bei manchen eher Fähigkeiten oder Verhaltensweisen, die durch die Therapie entwickelt und geübt wurden. Martina Fuhrmann erzählt, dass für sie die Traumatherapie sehr wichtig war, und dass ihr die Übungen daraus für ihren Alltag halfen. Manche sagen auch, sie haben durch die Therapie gelernt, Frieden mit sich zu schließen oder gelassener zu werden.

Manche Betroffenen erlebten allerdings auch schwierige Dinge in der Psychotherapie. Anna Lange erzählt, dass sie in ihrer ersten Therapie als Jugendliche Angst vor der Therapeutin hatte, weil sie sie als sehr streng empfand und oft auch nicht verstand, warum sie bestimmte Dinge tun sollte (wie zum Beispiel die Zusatzernährung einnehmen). Auch andere Erzählerinnen beschreiben die Erfahrung, dass ihnen eine frühere Therapie nichts brachte; einzelne sagen, dass sie bis heute noch keine hilfreiche Therapie hatten, obwohl sie es ausprobiert haben. Manche schildern, wie sie trotz der Therapie weiter abnahmen, oder sie sagen im Nachhinein, dass sie sich noch nicht darauf einlassen konnten, weil sie noch nicht so weit waren. Zum Teil brachen sie die Therapie dann auch ab. Petra Kessler berichtet dagegen, dass sie gerne Therapie gemacht hätte, aber aufgrund ihres niedrigen Gewichtes keine ambulante Therapeutin mehr finden konnte.

Zum Teil beschreiben unsere Erzählerinnen auch unbeabsichtigte Therapieabbrüche. Bei manchen unserer Gesprächspartnerinnen entstanden Unsicherheiten oder Therapiepausen, weil die Krankenkasse die Kosten nicht mehr übernahm. Sie beschreiben diese unbeabsichtigten Abbrüche vor allem dann als belastend, wenn sie gerne mit dem vertrauten Therapeuten weitergearbeitet hätten.